Der Zeitpunkt war bewusst gewählt: Kurz bevor die Länderchefs am Mittwoch mit Kanzlerin Angela Merkel zusammenkamen, um sich über neue Kontaktbeschränkungen zu verständigen, traten der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und die beiden Virologen Prof. Hendrik Streeck und Prof. Jonas Schmidt-Chanasit vor die Presse. Unterstützt von weiten Teilen der organisierten Ärzteschaft präsentierten sie ein gemeinsames Positionspapier, in dem sie eine ergänzende Sichtweise zur Bewältigung der Pandemie skizzieren, die Erfahrungen der Ärzte aus der täglichen praktischen Arbeit spiegelt und stärker auf Gebote statt Verbote setzt.
Das von der KBV mit wissenschaftlicher Expertise durch die Virologen entwickelte Konzept sieht im Kern vier Vorschläge zur langfristigen Bewältigung der Corona-Pandemie vor:
- Abkehr von der Eindämmung alleine durch Kontaktnachverfolgung
- Einführung eines bundesweit einheitlichen Ampelsystems auf der Grundlage medizinisch begründbarer Kennzahlen wie Infektionsfälle, Anzahl durchgeführter Tests, stationäre und intensivmedizinische Behandlungskapazitäten
- Fokussierung der Ressourcen auf den besonderen Schutz von Bevölkerungsgruppen, die ein hohes Risiko für schwere Krankheitsverläufe haben
- Zulassen von kontrollierten Begegnungen im öffentlichen Raum bei Vorliegen von wissenschaftlich begleiteten Hygienekonzepten statt flächendeckende Einschränkungen mit Verlagerung von Kontakten in private Innenräume.
Ergänzt werden sollen diese Maßnahmen durch die konsequente Anwendung der AHA + A + L-Regeln: Abstand/Hygiene/Alltagsmaske + Corona Warn App + regelmäßiges Lüften. Wegen der zunehmenden Überforderung der Gesundheitsämter empfehlen die Autoren außerdem, die Kontaktnachverfolgung prioritär auf Personen auszurichten, die einen Bezug zu medizinisch/pflegerischen Einrichtungen haben, an „Super-Spreader-Events“ teilgenommen oder die Meldung „erhöhtes Risiko“ von ihrer Corona-Warn-App erhalten haben.